Eine Lebenswerte Stadt verlangt kulturelle Vielfalt und Teilhabe – Zukunftspapier des Beirates für Soziokultur Jena

Der Beirat Soziokultur hat am 24.03.2021 sein Zukunftspapier veröffentlich, damit Kulturakteure auch weiterhin zum Gelingen einer offenen Stadtgesellschaft beitragen und als Resilienzfaktor des demokratischen Zusammenlebens wirken können. Da die Akteuer:innen der Soziokultur auch eng mit der Partnerschaft für Demokratie verbunden sind und die Förderung einer sich demokratisch artikulierenden Soziokultur explizit in den Förderbedingungen der Partnerschaft für Demokratie Jena festgeschrieben ist, veröffentlichen wir an dieser Stelle das Zukunftspapier. Weitere Infos zum Beirat und seinen Aktivitäten erhaltetet ihr auf der Webseite.


Bereits vor der Pandemiesituation erfolgte die Fortschreibung der Kulturkonzeption mit dem Ziel, das kulturelle Leben der Stadt in den Fokus zu rücken, Grenzen zwischen Hoch- Breiten- und Subkultur abzubauen und den Zugang für alle Menschen unserer Stadt zu ermöglichen. In der Wirkung soll Teilhabe gelingen und eine demokratische Stadtgesellschaft in Jena gestärkt werden.


In der gegenwärtigen Haushaltsdebatte artikuliert sich hingegen ein klares Missverständnis der Stadtverwaltung zur Relevanz der städtischen Kultur. Bei der Umsetzung ihres erklärten Zieles eines attraktiven Ortes der Weltoffenheit und Vielfalt zu schaffen, lässt sich praktisches Handeln vermissen. Selbst der reduzierte Stellenwert als Standortfaktor urbaner Lebensqualität sowie die Teilhabe aller Gesellschaftsschichten am kulturellen Zusammenleben, wie in der Kulturkonzeption vereinbart, wurde in den Verwaltungsvorschlägen zunächst ausgespart.


Der Beirat für Soziokultur wurde im Jahr 2011 vom Stadtrat gegründet, um als Vermittler der vielfältigen Kulturlandschaft zwischen Akteuren, Politik und Verwaltung zu agieren. Er formuliert die Bedarfe freier Kulturakteure an die Politik & Verwaltung und bietet so Anstoß einer inklusiven Stadtgesellschaft. Im Dialog mit städtisch geförderten Trägern, Veranstaltern und freier Szene stellt der Beirat für Soziokultur fest:


Bereits jetzt ist das kulturelle Leben mit den zahlreichen Akteur*innen und Trägern vor eine existenzielle Zerreißprobe gestellt und läuft schon längst im Notfallplan. In Zukunft und besonders in diesem Jahr 2021 benötigen kulturelle Initiativen deshalb neue Perspektiven, um auf die Herausforderungen der Pandemiesituation zu reagieren und den gesellschaftlichen Wert kultureller Aktivität in Jena zu erhalten. Andernfalls bleibt ein umfassender Dominoeffekt im Zerfall der vielfältigen Jenaer Kulturlandschaft zu befürchten, der das demokratische Zusammenleben weiter erodiert. Dies steht im Gegensatz zur angestrebten innovativen und lebenswerten Entwicklung der Lichtstadt Jena. Eine Stadt muss leben, sie muss auch bunt und laut sein dürfen.


Damit Kulturakteure weiterhin zum Gelingen einer offenen Stadtgesellschaft beitragen und als Resilienzfaktor des demokratischen Zusammenlebens wirken können, formuliert der Beirat für Soziokultur in Jena deshalb folgende Forderungen:

KULTUR BRAUCHT WERTSCHÄTZUNG

Kultur benötigt Akzeptanz und eine Stimme im politischen Diskurs. Dialog benötigt einen Gegenüber – einen Kulturdezernent*in. Der Oberbürgermeister muss seiner Verantwortung als Kulturdezernent endlich gerecht werden oder diese politische Aufgabe übertragen. Die jenaer Kultur soll ihre Interessen als Teil der Stadt und Teil der Gesellschaft glaubhaft vertreten dürfen!

Soziokulturelle Spielstätten und Klubs brauchen deutlich mehr Akzeptanz und Wertschätzung in der Stadtpolitik.

Das Konzept des „Nachtbürgermeisters*“ trägt in anderen deutschen Städten bereits Früchte. Ein Nachtbürgermeister*in oder Nachtmanager*in vermittelt zwischen Behörden, Anwohner*innen und Kulturschaffenden, reduziert Spannung und schafft Akzeptanz für alle Beteiligte. Der Beirat für Soziokultur fordert die Schaffung einer solchen Stelle für Jena! Ergreifen wir die Chance einer verantwortungsbewussten Stadtentwicklung, die der Relevanz von Kunst & Kultur für die Stadtgesellschaft gerecht wird!


KULTUR BRAUCHT LEBENSRAUM

Kulturelle & soziokulturelle Freiräume, Veranstaltungs- und Begegnungsorte müssen einerseits im Bestand geschützt werden und brauchen andererseits neue Handlungsspielräume; so wie in der Kulturkonzeption (Seite 7) und im integrierten Stadtentwicklungskonzept Jena 2030 (Seite 74) verankert.

Ein Handeln seitens der lokalen Politik und Verwaltung mehr Freiflächen, als bisher zur kulturellen Nutzung zur Verfügung zu stellen, ist dringend geboten. Der Beirat für Soziokultur tritt hierfür als wesentlicher Mittler der freien Szene ein. Das aufeinander Zugehen von Verwaltung, Politik und Freier Szene ist, gemäß der kommunalen Zielsetzungen formuliert und muss entsprechend realisiert werden.


In der derzeitigen Beschlussvorlage zum Haushalt wurden Kürzungen in einigen Teilen der Kulturlandschaft abgeschwächt, gleichzeitig wurde versäumt, die Einnahmenseite so zu gestalten, dass die Liquidität der Stadtkasse auch in Zukunft gesichert ist. Mit Besorgnis schaut der Beirat für Soziokultur deshalb auf eine mögliche Haushaltssperre oder einem HSK ab 2023 und den damit verbundenen bedrohlichen Konsequenzen für
eine lebendige Kulturlandschaft.


KULTUR BRAUCHT EINEN FRUCHTBAREN BODEN

Um die Schwelle der kulturellen Beteiligung neuer Akteure zu verringern und etablierte Trägern Handlungsfähigkeit zurück zu geben, bedarf es einer Entspannung der gesetzlichen Rahmenbedingungen der „Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Jena“ im Bereich Straßenmusik, Freiluftveranstaltungen und Plakatierung. Die Seite der Veranstaltenden
und der Kulturakteure muss stärker mit einbezogen werden.


Wir fordern ein mit den soziokulturellen Veranstaltenden abgestimmtes Konzept zur Frei-Flächen-Nutzung und entsprechende von der Stadtverwaltung freigegebene Flächen.


KULTUR BRAUCHT EIN GESUNDES ÖKOSYSTEM

In den letzten Jahren haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für Veranstaltende in regelmäßigen Abständen verschärft. Neben immensen sicherheitstechnischen Voraussetzungen, denen bei Veranstaltungen Rechnung getragen werden muss, kommen zukünftig zusätzlich noch umfangreiche Hygiene-Standards auf Veranstaltende zu. Diese Regeln bedeuten zu hohe Hürden für soziokulturelle Akteure, um sich zu entfalten. Die Folge: Viele kleinere und mittelgroße Veranstaltende werden in Grauzonen gedrängt. Wir fordern die Voraussetzungen zu schaffen, damit Kulturakteure die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllen können.
Aufgrund der Pandemie müssen Veranstaltungen in den Außenbereich verlegt werden.


Die Bedeutung dieser Veranstaltungen ist enorm, weil sie das Fortbestehen unserer (Veranstaltungs-) Kultur sichern. Diesem Aspekt muss in die Genehmigungsverfahren von Sonderveranstaltungen Rechnung getragen werden.
Wir fordern, dass die Schutzbedürftigkeit von Kultur- „Lärm“ anerkannt wird. In Thüringen braucht es eine kulturgerechte landesgesetzliche Regelung zu Kulturemissionen, ähnlich der zur Schutzbedürftigkeit von Lärm auf Spielplätzen.


KULTUR BRAUCHT ANSCHUB & (AB-)SICHERUNG

Die Etablierung neuer Förderstrategien ist dringend nötig. Statt an Fördersummen & – Instrumenten zu sparen, müssen innovative Förderstrategien etabliert werden.
Unvereinbare, sich ausschließende und sich widersprechende Förderinstrumente auf bundes-, landes-, und kommunaler Ebene sind durch langfristige, niedrigschwellige und kompatible Förderrichtlinien zu ersetzen.
Dabei ist den spezifischen Lebenswelten und Lebensumständen der kulturellen Akteur*innen und Solo-Selbstständigen unbedingt Rechnung zu tragen, indem ihnen eine existenzielle langfristige Grundversorgung ohne drohendes Armutsrisiko zugestanden wird. Grundsicherung-, Absicherung-, und Krankenversicherungssysteme sind umgehend neu zu denken und angemessen zu etablierten.


Deshalb fordern wir den Oberbürgermeister explizit auf, diese drängenden
Reformbemühungen entsprechend auf Bundes- und Landesebene mit Engagement anzustrengen und durchzusetzen.


KULTUR BRAUCHT DEN DIREKTEN DRAHT

Um dem Auftrag als Vermittler auf Augenhöhe gerecht zu werden, ist nicht nur der Erhalt des Beirates für Soziokultur langfristig zu sichern. Des Weiteren ist die Entsendung eines*r Delegierten aus dem Beirat für Soziokultur als beratendes Mitglied im Kulturausschuss von Nöten. Diese Maßnahme ist für eine bessere Vernetzung und besseren Informationsfluss beiderseitig von erheblichem Vorteil.


Für eine partizipative und gleichberechtigte kommunale Kulturpolitik bedarf es gemeinsam erarbeiteter kulturpolitischer Strategien und Visionen. Demokratische, partizipative Prozesse müssen weiter geöffnet, die Lücke zwischen Bürgern*innen und Entscheidungsträger*innen abgebaut und das Vertrauen in Politik und Verwaltung gestärkt werden, um demokratie-abwertendem, den gesellschaftlichen Frieden gefährdenden Populismus entgegen zu wirken.


Es ist jetzt an der Zeit, diejenigen in den Blick zu nehmen, die unser friedvolles Zusammenleben stützen.
Wir dürfen nicht zögern, unserer (sozio-) kulturellen Zukunft Freiraum zum Gedeihen zuzugestehen. Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Mitgestaltung, und Innovation müssen in ihr auch weiterhin Ausdruck finden können. Jenaer Bürger schaffen Kultur für Alle!

Beirat für Soziokultur Jena

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